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Force Majeure und Unmöglichkeit – rechtliche Auswirkungen der Corona (COVID-19)-Pandemie auf Verträge

9. April 2020

Die Corona (COVID-19)-Pandemie stellt Wirtschaftsunternehmen weltweit vor neue Herausforderungen. Dies gilt um so mehr in einer globalisierten Wirtschaft, in der Lieferketten die Welt umspannen.

A. Corona (COVID-19) als Ausgangssituation

Zunächst waren nur in China Städte und Regionen abgeriegelt, Lieferverkehre eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich und Fabriken geschlossen, so dass sich lediglich bei Lieferverträgen mit Chinabezug die Frage stellte, ob Force Majeure, also höhere Gewalt vorliegt und was dies rechtlich bedeutet. Mittlerweile stellt sich die Frage nahezu weltweit, auch bei Lieferverträgen ohne Auslandsberührung: Lieferketten sind unterbrochen, Werke stehen still. Viele Unternehmen erhalten von ihren Lieferanten mittlerweile „Force-Majeure-Anzeigen“, in der Folge werden Lieferungen ausgesetzt. Die Frage, ob die CORONA (COVID-19) Pandemie wirklich höhere Gewalt darstellt und was dies für Lieferverträge tatsächlich bedeutet, wird im Folgenden dargelegt. Im Einzelfall stellt sich immer die Frage, ob die Fälle höherer Gewalt im Vertrag (abschließend) geregelt wurden (s. B.I.) Im UN-Kaufrecht (CISG) werden diese Fälle gemäß den Regeln der Befreiung (Art. 79 CISG) gelöst. (B.II). Ansonsten gilt, dass das deutsche Recht den Begriff „höhere Gewalt“ so nicht kennt, sondern diese Fallgestaltungen nach den Regeln der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) (vgl. B.III.) regelt.

B. Rechtlicher Rahmen

I. Was ist Force Majeure? Gibt es ausdrückliche vertragliche Regelungen („Force-Majeure-Klauseln“)?

Um Streitigkeiten oder Auslegungsrisiken zu vermeiden, wird in vielen Verträgen im Falle extremer unerwarteter Ereignisse eine sogenannte „Force-Majeure-Klausel“ integriert. Diese räumt einer oder allen Vertragsparteien im Fall höherer Gewalt z.B. das Recht ein, von dem ansonsten bindenden Vertrag zurückzutreten oder Leistungen temporär auszusetzen. Die Klausel ist geeignet, das geltende positive (Gesetzes-)Recht zu verdrängen. Während der erste Teil der Klausel sich regelmäßig mit der Definition dessen, was höhere Gewalt umfassen soll, befasst und so die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftungsbefreiung bestimmt, befasst sich ihr zweiter Teil mit den vorgesehenen Rechtsfolgen. Diese können unterschiedlich weit sein und z.B. ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht, ein Recht zur befristeten Aussetzung der Lieferung oder eine Befreiung von Schadenersatzpflichten, die etwaige Gewährung einer Nachfrist etc. vorsehen.

Unter höherer Gewalt versteht man in der Regel ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist. Wesentliche Elemente der höheren Gewalt sind damit die Unvorhersehbarkeit, die Unvermeidbarkeit sowie die Außergewöhnlichkeit. Beispiele hierfür sind (Bürger-)Kriege, Kriegsgefahren (soweit nicht vorhersehbar) und Naturkatastrophen.

Soweit in einem Vertrag nicht genau definiert oder gar abschließend aufgezählt wurde, was unter höherer Gewalt zu verstehen ist, und Pandemien dort ausgeschlossen sind, dürfte die derzeitige Corona-Situation durchaus den drei Elemente Unvorhersehbarkeit, Unvermeidbarkeit und Außergewöhnlichkeit entsprechen. Das ist aber permanent zu prüfen, denn was heute unvermeidbar ist, kann morgen schon ganz anders aussehen. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem sich jemand auf höhere Gewalt beruft. Sofern im Vertrag eine Force-Majeure-Klausel enthalten ist, gelten zunächst die dort vorgesehen Rechtsfolgen. Zu beachten ist dabei, dass solche Klauseln nicht nur im Vertragstext selbst enthalten sein können, sondern sich meist auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden. Hier gilt es dann im Einzelfall zu prüfen, ob diese wirksam vereinbart (also in den Vertrag „einbezogen“) wurden und ob sie wirksam sind.

II. UN-Kaufrecht

Das UN-Kaufrecht (CISG) findet immer dann Anwendung, wenn es sich um einen internationalen Warenkauf handelt, der dem Recht eines Vertragsstaates unterliegt oder die Parteien die Anwendbarkeit vereinbart haben. Da das UN-Kaufrecht Bestandteil des deutschen Rechtes ist, gilt UN-Kaufrecht schon dann als vereinbart, wenn z.B. bei einem internationalen Warenkauf „deutsches Recht“ vereinbart wird, ohne UN-Kaufrecht explizit auszuschließen.

Nach Art. 79 CISG entfällt für den Lieferanten die Haftung für ein aus höherer Gewalt (d.h. Force Majeure) resultierendes Leistungshindernis. Art. 79 CISG regelt zunächst nur die Befreiung von der Schadensersatzpflicht und lässt andere Ansprüche grundsätzlich unberührt. Ist die Erfüllung sogar auf Dauer objektiv unmöglich, ist anerkannt, dass der Erfüllungsanspruch entfällt. Die Beweislast dafür, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und von dieser Partei nicht vernünftigerweise erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden, liegt beim Schuldner. Entscheidend dafür, dass sich eine Vertragspartei auf Art. 79 CISG berufen kann, ist dabei aber, dass die Partei, die nicht erfüllt, den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen der anderen Partei mitzuteilen hat. Erhält die andere Partei die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem die nicht erfüllende Partei den Hinderungsgrund kannte oder kennen musste, so bleibt die Haftung bestehen (Art. 79 Abs. 4 CISG). Hier bedarf es im konkreten Fall schneller rechtlicher Prüfung und Reaktion.

Als Fallgruppen des Art. 79 UN-Kaufrecht sind sowohl Epidemien als auch Blockaden und Schließung von Transportwegen vom Grundsatz her anerkannt. In der derzeitigen Lage ist davon auszugehen, dass ein Fall der Force Majeure i.S.d. UN-Kaufrechtes vorliegen kann. Maßgeblich ist aber die jeweilige Betroffenheit einer Vertragspartei im Einzelfall. Dies kann sich durch Zeitablauf verändern. Zu beachten ist auch, dass dem Lieferanten zur Abwendung des Leistungshindernisses regelmäßig auch finanzielle Mehraufwendungen zumutbar sind, so kann z.B. die Wahl alternativer Transportmittel zumutbar sein, auch wenn dies für den Lieferanten mit hohen zusätzlichen Kosten und Verlusten verbunden ist. Soweit eine Ersatzlieferung bei dem betreffenden Lieferverhältnis möglich ist, kann im Rahmen der Angemessenheit vom Lieferanten die Lieferung von Ersatzware verlangt werden. Auch dies ist eine Frage des Einzelfalles.

III. Deutsches Recht

Soweit im Vertrag oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine (wirksame) Force-Majeure-Klausel vereinbart wurde und nicht UN-Kaufrecht gilt, greifen die allgemeinen gesetzlichen Regelungen: So sieht § 275 BGB vor, dass ein Anspruch auf Leistung ausgeschlossen ist, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Der Schuldner darf die Leistung auch verweigern, wenn die Leistung mit unzumutbaren Anstrengungen verbunden wäre. Ob die derzeitige Pandemie eine Leistung unmöglich macht, ist eine Frage des Einzelfalles und hängt von den jeweiligen konkreten Gegebenheiten ab.
Soweit die Leistungspflicht entfällt, kann im Gegenzug die Gegenleistungspflicht wegfallen. Dies ist aber nicht zwingend so: Hat der Schuldner etwa eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, indem er zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Unmöglichkeit nicht ergriffen hat, haftet er auf Schadensersatz. Die wesentliche Frage ist also, ob der Schuldner entweder fahrlässig oder vorsätzlich die Unmöglichkeit der Leistung herbeigeführt hat. Die Beweislast trägt der Schuldner.

Möglich ist auch, dass § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) greift. Diese Norm sieht vor, dass im Falle einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die Anpassung des Vertrages verlangt werden kann. Voraussetzung ist dabei, dass der verpflichteten Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Erst wenn eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kann der Vertrag beendet werden. Im deutschen Recht wurden Epidemien und Seuchen in der Vergangenheit bereits als höhere Gewalt angesehen (etwa im Hinblick auf den Ausbruch des SARS-Virus). Eine Indizwirkung bei der Beurteilung des Einzelfalles dürfte hier insbesondere den Erklärungen des Auswärtigen Amtes und den Empfehlungen der WHO zukommen. Auch behördliche Maßnahmen (z.B. Produktionseinschränkungen oder Embargos) können als höhere Gewalt eingestuft werden.

C. Empfehlung

Beruft sich ein Lieferant auf eine Force-Majeure-Klausel oder will (muss) man sich selbst darauf berufen, so ist in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Soweit nicht ausdrücklich hierzu eine vertragliche Regelung getroffen wurde, ist zu prüfen, ob UN-Kaufrecht oder allgemeines deutsches Recht Anwendung findet. Dabei ist immer auch die Frage zu beantworten, was zur Aufrechterhaltung der Lieferkette für den Lieferanten zumutbar ist. Das kann im Zeitablauf unterschiedlich zu bewerten sein. Was gestern höhere Gewalt sein kann, ist mitunter heute bereits eine Lage, mit der umgegangen werden kann: Beruft sich etwa ein Unternehmen auf höhere Gewalt, obwohl für ihn absehbar war, dass er nicht liefern kann, oder es ihm zumutbare Lösungsmöglichkeiten gibt, um die Lieferung zu ermöglichen, hilft eine Force-Majeure-Anmeldung nichts mehr.

Ihre Ansprechpartner
Dr. Markus Wintterle

Dr. Markus Wintterle

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